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entralrat der Juden
Von Kevin Culina
Redakteur Innenpolitik
Veröffentlicht am 20.08.2024Lesedauer: 6 Minuten
Es herrsche eine große allgemeine Unzufriedenheit in der Gesellschaft, konstatiert der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Dies führe sogar zu Gewalt. Vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland warnt er vor der Wagenknecht-Partei: Sie befördere Israelhass und Verschwörungsideologie.
Josef Schuster, 70, ist seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden. Er ist außerdem Vizepräsident des World Jewish Congress und lebt in Würzburg.
WELT: Herr Schuster, wie verhärtet sind die politischen Verhältnisse dieser Tage nach Ihrer Wahrnehmung?
Josef Schuster: Es gibt eine feindliche Front fernab einer konstruktiven Opposition wie der Union gegen die derzeitige Bundesregierung. Ich nehme schon seit Jahren eine Gruppe von Menschen wahr, die jegliche Regierungspolitik ablehnt und sehr verhärtet ist. Auch von der anderen Seite ist häufig Arroganz spürbar: Es gibt insgesamt wenig Spielraum, dass Menschen aufeinander zugehen.
WELT: Woher kommt das?
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Schuster: Das hat sicherlich mit der Corona-Pandemie und den sehr unterschiedlichen Positionen zu den Maßnahmen begonnen. Aber wir erleben heute auch eine neue politische Kultur im Bundestag. Die Opposition soll die Regierung kritisieren, das ist ihre Aufgabe, doch dieses fragile Zusammenspiel dringt kaum durch, wenn radikale Parteien im Parlament sitzen. Oft geht es dann leider um einen 180-Grad-Kurs, der wenig Bereitschaft für Kompromisse mitbringt.
Josef Schuster: „Es herrscht eine große allgemeine Unzufriedenheit in der Gesellschaft“
Quelle: Daniel Karmann/dpa
WELT: Am 1. September werden in Thüringen und Sachsen neue Landtage gewählt. Wahlkämpfer berichten von Anfeindungen und sogar körperlicher Gewalt. Wie kommt es dazu?
Schuster: Das gesellschaftliche Miteinander hat ganz erheblich gelitten. Vor zehn Jahren hätte ich diese körperlichen Angriffe auf Wahlkämpfer noch für undenkbar gehalten. Es hat sich eingebürgert, politische Debatten auch mit Fäusten anstatt mit Worten zu führen.
WELT: Sie warnen seit Jahren vor der AfD. Die Partei wird höchstwahrscheinlich stärkste Kraft bei den Landtagswahlen – selbst unter Rechtsextremist Björn Höcke in Thüringen. Wie erklären Sie sich das?
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Schuster: Es herrscht eine große allgemeine Unzufriedenheit in der Gesellschaft. Nicht nur, aber verstärkt in den ostdeutschen Bundesländern. Die AfD propagiert einfache Lösungen, die sie in der Regierung wohl nie einlösen könnte. In Thüringen und Sachsen hat das mit Sicherheit auch mit einem Unmut auf die Linkspartei zu tun, die ihre Versprechungen und ihre Rolle als „Kümmerer“ nicht eingelöst hat. Konservative profitieren davon nicht.
Ein Teil der AfD-Wähler ist tatsächlich ideologisch verblendet und folgt dieser falschen, radikalen Linie. Diese Gruppe wird über die Jahre relativ immer größer. Es glauben aber immer noch auch einige, der Bundesregierung und den etablierten Parteien einen „Denkzettel“ verpassen zu können. Eine Stimme für die anderen Oppositionsparteien scheint nicht deutlich genug zu sein.
WELT: Davon könnte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) profitieren. Worauf führen Sie die guten Umfragewerte für diese junge Partei zurück?
Schuster: Sahra Wagenknecht hat in den vergangenen Jahren immer wieder Minderheitenpositionen in ihrer ehemaligen Partei, Die Linke, eingenommen, etwa für eine strengere Migrationspolitik oder eine andere Haltung zu Russland und dem Krieg in der Ukraine. Diese Außenseiterpositionen verfangen offensichtlich. Auch das BSW setzt in Ostdeutschland bei den häufig berechtigten Sorgen der Menschen an. Oberflächlich, zum Beispiel in den Spitzenkandidatinnen in Sachsen oder Thüringen, gibt sich die Partei ein pragmatisches Gesicht. Dahinter zieht sie Radikale von allen Seiten an. Aus meiner Sicht ist ihr Hang zur Verschwörungsideologie bedenklich. Wir haben während Corona gesehen, dass dies immer wieder antisemitische Narrative bedient.
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WELT: Wagenknecht sah in Israels Kriegsführung in Gaza früh „Züge eines Vernichtungsfeldzugs“. Das BSW forderte zudem ein Verbot von Waffenlieferungen an Israel. Was steckt dahinter?
Schuster: Von einem „Vernichtungsfeldzug“ zu sprechen, halte ich für völlig unangemessen. Das ist leider eine nicht untypische Denkweise in der politischen Linken. Man stellt sich auf die Seite des vermeintlich Schwächeren, der Konfl ikt erscheint nur wie „David gegen Goliath“. Die Realitäten in diesem Krieg werden aber nicht anerkannt: Israel kämpft gegen die Terrororganisation Hamas – und nicht gegen die palästinensische Bevölkerung. Man muss das Handeln Israels nicht für ideal halten – ich tue das ganz sicher nicht immer –, aber diese grundsätzlichen Relationen darf man eben nicht ausblenden. Das BSW befeuert mit seiner eher populistischen Positionierung den Israelhass in Deutschland.
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WELT: Schon 2010 verweigerte Wagenknecht dem israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres nach dessen Rede im Bundestag die Standing Ovation. Wie bewerten Sie das?
Schuster: Das kann ich in keinster Weise nachvollziehen. Solche Handlungen haben in Teilen der Gesellschaft erheblichen Einfluss. In der politischen Linken, das sehen wir bei Protesten oder auch in der Kunst, gibt es eine ganz erhebliche Abneigung und Antipathie gegen Israel. Das geht so weit, dass israelische Künstler ausgeladen oder gar nicht erst eingeladen werden. Das besorgt mich.
WELT: Wie auch im Ukraine-Krieg betont Wagenknecht, nur Frieden und ein Ende des Sterbens in Gaza zu wollen.
Schuster: Da gebe ich ihr im Prinzip auch recht: Es braucht Frieden. Frieden heißt aber nicht nur einfach „kein Krieg“. Es muss ebenso sichergestellt werden, dass die Bevölkerung in Israel angstfrei leben kann. Ohne Angst vor Terror, Raketen und Krieg. Was wäre denn in Deutschland los, wenn uns ein Nachbarland regelmäßig mit Raketen beschießen würde? Diese Rhetorik lässt auch völlig außer Acht, dass wir, Deutschland, Israel auch ganz eigennützig als demokratischen Bündnispartner in einer Welt, die mehr und mehr von Autokratien oder Diktaturen bestimmt wird, zur Seite stehen sollten.
Zentralrat der Juden fordert militärische Unterstützung für Israel – Politik uneins
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Angesichts der Drohungen Teherans mehren sich Stimmen, die eine Unterstützung Israels durch die Bundeswehr fordern. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, betont die historische Verantwortung Deutschlands. Ohne Bundestagsmandat ist ein Einsatz aber nicht möglich.
Quelle: WELT TV
WELT: Israel bereitet sich dieser Tage auf einen Angriff des Iran vor. Wie blicken Sie auf die derzeitige Lage?
Schuster: Sehr besorgt. Erst einmal auch aus persönlichen Gründen: Ich habe Verwandtschaft in Israel, das geht mir emotional natürlich nahe. Israel stellt für Juden in der ganzen Welt einen Zufluchtsort dar. Insbesondere nach dem, was wir während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland erleben mussten. Es wäre eine Katastrophe, wenn es diesen Ort für uns nicht mehr gäbe. Und ich mache mir Sorgen, dass dieser Angriff eine erneute Eskalation des Israelhasses und Antisemitismus auf deutschen Straßen nach sich ziehen würde.
WELT: Sollte Deutschland im Falle eines iranischen Angriffs helfen?
Schuster: Ja, Deutschland sollte Israel zur Seite stehen. Das muss natürlich nicht heißen, militärische Einheiten an vorderster Front. Doch in so einer existenziellen Krise braucht es militärischen Beistand: Luft-Betankung von Flugzeugen, Aufklärungseinsätze, Sanitätsbataillone. Da gibt es viele Möglichkeiten. Aus dem politischen Raum höre ich Unterstützung für einen solchen Beitrag.
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WELT: In Deutschland halten zugleich aber auch die Proteste gegen Israel an – die Unterstützung scheint zu schwinden. Wieso?
Schuster: Der Krieg in Gaza war ein Katalysator für den Antisemitismus. Viele trauen sich jetzt, ihre antisemitischen Haltungen offen auszusprechen. Das gehört für Jüdinnen und Juden zum Alltag. Die Bedrohung, die antisemitischen Straftaten oder auch die kleinen Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sind anhaltend hoch. Diese Dimension hätte ich mir vor zehn Jahren noch nicht vorstellen können – und das macht mir Sorgen.
Politikredakteur Kevin Culina ist bei WELT zuständig für die Berichterstattung über das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Linkspartei. Seine Artikel finden Sie .
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